Im Spiegel Online erschien jüngst dieser Artikel: „Pass auf, Vorsicht, alles ist gefährlich!. Natürlich: das sind a) die anderen und wir niemals, denn unsere Kinder dürfen mal alles – und b) maßt sich Frau Sibylle, die hässlich Magere, ja an, über etwas zu schreiben, das sie gar nicht beurteilen kann, weil sie selbst keine Kinder hat.
Erst zu b) – Kann sie nicht? Gilt das dann bitte für alle? Nie wieder klugscheißerische Besserwisserei anderen gegenüber? Klasse! Ich find’s großartig, mich nie wieder für mein Tun oder Nichttun rechtfertigen zu müssen. Nein, im Ernst jetzt: Das ist Zynismus, was Frau Berg da betreibt. Und da gilt immer noch der kluge Spruch „Getroffene Hunde bellen“.
Nun zu a) – Da mokieren sich tatsächlich die Eltern, dass sie ihren Kindern ja wirklich alles erlauben und ihrem Kinde die möglichst umfängliche Freiheit zu geben. Nur um die lieben Kleinen dann jedes Wochenende zum Sportplatz zu karren oder morgens zur Schule. Die Eltern, die ihrem Sprössling bis ins Teenager-Alter hinein die Klamotten kaufen, das Brot schmieren, das Essen vorkochen, ihn an wirklich alles erinnern, das er wissen müsste, mit ihm lernen, beim Lehrer antanzen, jede noch so erdenkliche Förderung durchfechten, Tag und Nacht einfach alles geben, damit es dem Kinde gut tut.
Meiner Meinung nach hat Frau Sibylle vor allem eins gemeint: wir lassen unsere Kinder überhaupt nicht mehr aus den Augen. Ich habe das als Kind der 70er selbst schon so erlebt, als Einzelkind, Wunschkind, heißgeliebte Tochter zweier Eltern, die alles für mich gegeben haben, um mir eine wunderbare Kindheit zu ermöglichen. Und dabei die Verantwortung für mein Leben übernommen haben. Ich wurde gebracht und geholt, man lernte mit mir, ich bekam immer die bestmögliche Förderung und viele Wünsche bezahlt. Ich habe mich immer an ihren Vorgaben orientiert, das war halt so. Mama wusste es besser, Papa wusste es besser. Und wenn es doch nicht klappte, dann waren und fühlten sie sich dafür verantwortlich.
Wir bedauern, nach dem Skilager brav auf den Bus mit den Kinderlein wartend, die eine Mutter, die sich Sorgen machten, weil das Töchterlein erst und nur am zweiten Abend anrief, wie es ihr geht. Wir kämpfen uns jeden Morgen durch das Verkehrsaufkommen vor Schule und Kindergarten zu kämpfen auf dem Weg zur Arbeit, um nur eben das Kind herauszulassen, „weil ich sowieso da immer langfahre“. Wir führen die Terminkalender unserer Kinder treffen und dann untereinander die Verabredungen organisieren, Tage im Voraus, weil Leon nur montags kann und Lukas nie nach 18 Uhr – und nächste Woche Dienstag geht es nicht, weil Leon und Lukas da schon miteinander spielen, tut mir leid.
Ich merke, dass ich selbst automatisch wie ein Roboter so manches hinter den Kinderlein herräume oder nachfrage, ob sie wirklich alles erledigt haben haben und kontrolliere, kontrolliere, kontrolliere. Wo sie sind, was sie gegessen haben, ob sie auch wirklich den Brief in den Kasten geschmissen, den Hund gefüttert… Kinder im Rechtfertigungsmodus. Um zu bestehen im täglichen Eltern-Wettrennen, wo einen die anderen blamieren mit Fragen wie „WIR finden ja Mathe gerade so schwer, IHR auch?“ oder so. Weil ich vom Lehrer mit bösen Zetteln überhäuft werde, wenn mein Sohn die Hausaufgaben nicht macht. Auch meine Kinder sind nur sehr selten wirklich allein und eigenverantwortlich.
Und das fehlt. Da hat sie schon recht.
Denn irgendwann steht man nämlich in seiner Studentenbude und stellt fest: ich hab noch nie ganz allein einen Kuchen gebacken. Musste noch nie wirklich ALLES einkaufen, da war halt immer was da. Wie tankt man eigentlich? Und dann ruft man doch die Eltern an. Und Mama weiß es besser und kommt eben vorbei und macht das. Und fragt en passant, ob man auch schon die Diplomarbeit angefangen hat. Peinlich.
Den Weg zu finden zwischen Helikopter-Mom und Freiraum lassen ist wirklich schwierig in einer Welt, die von Wunschkindern bevölkert wird, deren schon etwas ältere Eltern ihnen alles Vermeintliche von den Augen ablesen und es stets, ernsthaft und von ganzem Herzen gut meinen. Wir wollen, dass es unsere Ableger gut haben, alles hinbekommen und einfach nur brillieren in ihrem Leben.
Es ist an uns zu lernen, dass „wenn Du das möchtest, dann organisiere es Dir allein, und ich finde es okay, wie Du es machst, auch wenn ich es vermutlich dreimal so effizient und völlig anders machen würde als Du“ viel besser ist, als ständig um die Kinder herumzuwuseln und ihnen alles zu organisieren. Sie können es schon selbst. Man muss sie nur mal lassen.